Am Lagereingang werden die Häftlinge der Lagerführung übergeben. Die Männer werden auf den Hof geführt, gezählt und durchsucht. Schon gleich zu Beginn werden die Neuankömmlinge von den SS-Männern angeschrieen und geschlagen. Sie müssen sich auf dem Hof nackt ausziehen. Ihre Häftlingskleider werden zum entlausen weggebracht. Jeder neue Häftling im KZ Kochendorf kommt zunächst in Quarantäne. In einer Baracke werden die nackten Männer mit kaltem Wasser abgespritzt und dann in eine andere Baracke überführt. Dort bleiben sie ein paar Tage und bekommen eine Wolldecke. Die Häftlinge müssen ohne Matratzen, nur auf bloßen Brettern schlafen. Während die Häftlinge nackt unter ihren Wolldecken liegen und warten bis ihre Kleider vom Entlausen zurückgebracht werden, unterkühlen sich einige so stark, dass sie kurze Zeit später sterben.
Bild: Immer wieder kommen neue Häftlingstransporte am Kochendorfer Bahnhof an. Schon beim Aussteigen hallen den Neuankömmlingen Befehle und lautes Hundegebell entgegen. Sie müssen in Fünferreihen zum Lager marschieren. Die Häftlinge kommen meist aus bereits geräumten Lagern. Häufig werden auch kranke gegen arbeitsfähige Häftlinge ausgetauscht.
Die Arbeit im Bergwerk
Jeden Morgen vor der Arbeit müssen die Häftlinge zum Appell antreten. Kubicki beschreibt, wie er im schlammigen Boden des Hofes beinahe seine Holzschuhe verliert. Er vermutet, das Lager sei absichtlich auf sumpfigem Boden zwischen zwei Hügeln gebaut worden, um den Gefangenen besonders schlechte Lebensbedingungen zu bieten. Beim Appell werden sie in zwei Gruppen zur Arbeit eingeteilt. Die eine Gruppe muss die Tagesschicht und die andere die Nachtschicht im Salzbergwerk übernehmen. Eine Schicht dauert in der Regel 12 Stunden. Beim täglichen Gang zur Arbeit in das etwa 4 Kilometer entfernte Salzbergwerk, betrachtet Kubicki immer die hügelige Landschaft und die hohen Kirschbäume, die den Straßenrand säumen. Im Bergwerk sind bereits zwei Hallen vollständig eingerichtet und mit den nötigen Maschinen für die Rüstungsproduktion ausgestattet. Kubicki muss weitere Hallen vorbereiten. Er muss den Boden ausbessern und betonieren, größere Felsen beseitigen, Schienen legen, Fundamente für die Maschinen bauen und die Wände streichen. Die Arbeit ist sehr schwer. Mit Hammer und Meißel muss er größere Felsen zerschlagen und sie zu kleineren Steinbrocken verarbeiten. Dann mischt er sie mit dem Beton und kann damit den vorbereiteten Boden betonieren.
Jeder ist sich selbst der nächste
Kubicki beschreibt das Verhältnis der Häftlinge untereinander als unsolidarisch und nicht sehr kollegial. In seinen Memoiren beschreibt er seine Mithäftlinge als eine Meute von hungrigen Wölfen, die um zu überleben sogar den anderen das Essen stehlen würden. Die Häftlinge bekommen meist schon am Abend die Brotration für den kommenden Tag. Kubicki wickelt sein Brot in einen Lappen ein und klemmt es mit einer Sicherheitsnadel, die er im Lager gefunden hat, an sein Hemd. Trotzdem sei es nie sicher vor Stärkeren gewesen, schreibt er.
Die SS-Männer empfindet Kubicki als grausamer und schlimmer als im KZ Mannheim-Sandhofen. Seine Mithäftlinge und er fürchten sich ganz besonders vor einem bestimmten SS-Soldaten. Er trägt eine Uniform der Luftwaffe und einen weißen Schal. Ihm soll es viel Spaß machen, die Häftlinge zu verprügeln und zu demütigen. Er geht oft grundlos auf Häftlinge los und schlägt sie bis sie bewusstlos zusammenbrechen. Auch wenn die Häftlinge schon am Boden liegen, tritt er häufig noch einmal nach oder schlägt ihnen mit seinem Gewehr auf den Kopf. Nach seinen Wutausbrüchen pfeift er meistens fröhlich eine Melodie und geht weiter, während der zusammengeschlagene Häftling vor Schmerzen gekrümmt auf dem Boden liegen bleibt.
Die Rettung naht
Immer häufiger wird Kochendorf und die nahe gelegene Stadt Heilbronn von Tieffliegern angegriffen. Kubicki schaut ihnen gerne zu und nennt sie "Die Botschafter der Freiheit". Weil sich die Luftangriffe immer weiter häufen und auch das Artilleriefeuer der Deutschen immer lauter zu hören ist, schließen die Häftlinge auf baldige Rettung durch die Amerikaner. Doch die Befreiung lässt auf sich warten. Bevor die Alliierten das Lager einnehmen können, werden die Häftlinge auf den Todesmarsch nach Dachau geschickt. Jerzy Kubicki überlebt und kehrt zurück nach Warschau, wo er einige Jahre als Chauffeur arbeitet. Jerzy Kubicki stirbt im Jahr 1986 in Zielonka in der Nähe von Warschau.
Anmerkungen:
Der Text basiert auf den Tagebuch-Aufzeichnungen von Jerzy Kubicki. Abgedruckt in "KZ in Heilbronn - Das 'SS-Arbeitslager Steinbock' in Neckargartach' von Heinz Risel. (Selbstverlag, 1987)