Der Rechtsanwalt Detlef Ernst hat bei seinen Forschungen zum KZ Kochendorf auch die beteiligten Rüstungsfirmen ins Visier genommen und den zähen Kampf um Entschädigungen von Zwangsarbeitern bis in die Gegenwart verfolgt. Im Gespräch verrät er, ob die an der Rüstung im Bergwerk beteiligten Unternehmen heute zu ihrem Mitverschulden stehen und schildert, warum der Bundesrepublik das Leid der Opfer allenfalls eine milde Gabe wert war.
Wie stehen die betreffenden Rüstungsfirmen zu ihrer Vergangenheit?
Detlef Ernst: Ich unterscheide danach, ob sie sich zu ihrer historischen und moralischen Verantwortung bekennen. Der damalige Heinkel-Konzern war ein kriegswichtiger Flugzeugkonzern und ist dann von Daimler teilweise geschluckt worden. Davon blieb in den 80er Jahren das Heinkel-Archiv übrig. Das Archiv kann ich nur loben. Dort wird historisch sehr sauber gearbeitet. Bei meiner Anfrage war man überraschend kooperativ. Allerdings war keine Klage absehbar und das Unternehmen bestand nicht mehr. Es gab nichts, was der Archivar aus Imagegründen hätte verschweigen müssen. Differenziert sehe ich die Baukonzerne. Dort wurden unsere Anfragen nicht immer gut behandelt. Der Heilbronner Baukonzern Koch & Mayer wollte nichts mehr von der Vergangenheit wissen. Das gilt zumindest für die Zeit, als wir gefragt haben. Mich beeindruckt die Hochtief AG. Sie veröffentlichte im Jahr 2000 ihre Biografie und steht zu ihrer Mitschuld an der Vernichtung durch Arbeit.
Warum wurde ehemaligen Häftlingen und Zwangsarbeitern keine Entschädigung gezahlt?
Beim Schuldenmoratorium, dem so genannten "Londoner Moratorium", hatte die Bundesrepublik mit den Alliierten vereinbart, die Zahlungen aller Kriegsschulden bis zum Abschluss eines Friedensvertrags, den es noch nicht gab, aufzuschieben. Deutsche Juristen haben aber die Entschädigungsansprüche einzelner Häftlinge als Reparationszahlungen umgedeutet und somit behauptet, vertragsgemäß sei man nicht verpflichtet, Entschädigungen zu zahlen. Dadurch wurden einige Klagen ehemaliger Häftlinge abgeschmettert.
Dann wurden die Entschädigungszahlungen absichtlich verzögert?
Die Verhandlungen wurden 55 Jahre lang verschleppt. Da gab es in Deutschland große Peinlichkeiten. Zum Beispiel hat ein Konzern vor Gericht durchgesetzt, dass Klagen auf Entschädigung nicht als Arbeitsrechtstreitigkeiten sondern zivilrechtliche Streitigkeiten gelten. Das hatte zur Folge, dass die Leute, die am Zivilgericht klagten, die ganzen Gerichtskosten vorschießen mussten. Das konnte Menschen aus der Ukraine mit wenig Rente vor Klagen abschrecken. Die Verschleppung halte ich für bewusst.
Warum hatten laut dem Bundesentschädigungsgesetz von 1952 nur Deutsche Anspruch auf Entschädigung, obwohl die meisten ehemaligen Häftlinge aus anderen Ländern kamen?
Aus diesem Grund war das Gesetz auf Deutsche begrenzt. Es entstand zu einer Zeit, als die Entschädigungsansprüche nicht mehr von der Hand zu weisen waren. Einige Klagen wurden mit den merkwürdigsten Begründungen abgewiesen. Man wollte keine Welle lostreten und die Unternehmen schützen. Letztlich verhinderte das Bundesentschädigungsgesetz Ansprüche ehemaliger Häftlinge aus Osteuropa. Es gab ja noch die Blockhaltung, die in den 50er Jahren auch in Bad Friedrichshall wirkte. Der Ost-West-Konflikt spielte selbst nach 1990 eine Rolle. Da die Wiedervereinigung wie ein Friedensvertrag gewertet wurde, fiel das Schuldenmoratorium weg und Frankreich verlangte Entschädigungen für die französischen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Ende der 90er Jahre fürchtete man auch Sammelklagen jüdischer Interessenverbände in den USA. Die finanzielle Sprengkraft dieser Sammelklagen war ein echtes Druckmittel gegenüber Unternehmen wie BMW, Daimler, Hochtief, IG-Farben, Deutsche Bank, Commerzbank und anderen, die ihre Finger bei der Zwangsarbeit im Spiel hatten und negative Publicity fürchteten. Das führte dazu, dass Deutschland und einige Unternehmen einen Teil bezahlten. Der Profit aus der Zwangsarbeit ist aber nie abgeschöpft worden. Die Unternehmen konnten ihre Entschädigungsanteile als Ausgaben absetzen. So zahlte die Hälfte des Betrags der Steuerzahler.
Wurde aus diesem Grund die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft gegründet?
Die Stiftung entstand auch aus Zeitnot. Als sie 2000 gegründet wurde, waren schätzungsweise nur noch 10 bis 20 Prozent der anspruchsberechtigten Häftlinge am Leben. Hinzu kamen Sprachprobleme und Schwierigkeiten, ehemalige Häftlinge zu finden. Es gab Kontakte mit ehemaligen Häftlingen aus Polen, Weißrussland und aus der Ukraine. Jedoch war das insgesamt ein willkürlicher Ausschnitt. Ihre Namen waren von den Nazis oft falsch geschrieben worden. Es kam vor, dass der Häftlingssuchdienst Arolsen für bestimmte Namen 13 verschiedene Schreibweisen kannte. Somit konnten viele nur schwer nachweisen, dass sie inhaftiert waren oder Zwangsarbeit leisten mussten. Zudem hat diese Stiftung mit bürokratischen Ausschlussfristen am Jahresende 2001 gearbeitet. Es passierte, dass ehemalige Häftlinge zwar ihre Haft nachweisen konnten, aber die Frist für den Antrag verstrichen war. Die Hürde hielt den Kreis der Antragsteller klein. Fraglich war auch, wieweit sich die Frist überhaupt in der ehemaligen Sowjetunion herumsprechen konnte. Damals gab es noch kein Internet. Immerhin wurde bis zum Zahlungsende am 11.06.2007 vielen Bedürftigen zügig eine Entschädigung gezahlt. Die Aufklärung über Sklavenarbeit hat viele Menschen wachgerüttelt und das demokratische Handeln gestärkt. Ich bedauere, dass im Jahr 2001 das Bundesfinanzministerium beschlossen hat, kriegsgefangene Sklavenarbeiter von Leistungen auszuschließen. Auch italienische und sowjetische Zwangsarbeiter in Kochendorf erhalten allenfalls milde Gaben.
Wie sind die ehemaligen Häftlinge bei ihren Besuchen mit dem Thema Entschädigung umgegangen?
Manche Häftlinge wollten nicht über ihre Vergangenheit reden. Eine Anspielung auf deutsche Verdrängung wurde diplomatisch vermieden. Sie haben sich bei Besuchen meines Wissens nie über das Fehlen von Entschädigungszahlungen geäußert. Die öffentlichen Diskussionen, die ich kenne, gab es ab den 80er Jahren. Zum Beispiel wurden Renten der SS-Soldaten über die Mauer hinweg nach Osteuropa gezahlt. Es gab in Estland, Lettland und Litauen einige SS-Leute, die aus der Bundesrepublik noch Renten bezogen, während an die bedürftigen KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter nichts über den eisernen Vorhang gereicht wurde.
Zur Person:
Detlef Ernst arbeitet als selbständiger Rechtsanwalt in Tübingen. Zusammen mit Klaus Riexinger schrieb er das Buch "Vernichtung durch Arbeit - Rüstung im Bergwerk" über die Geschichte des Konzentrationslagers Kochendorf. Im Jahr 2002 wurden sie dafür im Rahmen des Landespreises für Heimatforschung geehrt.