Stadt Bad-Friedrichshall

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Interview: "Anfangs wurden die übelsten Täter gedeckt"

Das KZ Kochendorf war lange Jahre ein Tabuthema in der Gemeinde Bad Friedrichshall. Rechtsanwalt Detlef Ernst setzte dem Schweigen ein Ende und begann Mitte der 80er Jahre damit, die Geschichte des Lagers zu erforschen. Im Interview schildert er die anfänglichen Reaktionen im Ort und das "Verdrängen" in der Nachkriegszeit. Außerdem äußert er sich zu Versäumnissen der deutschen Justiz und erklärt, warum so viele Täter nie für ihre Verbrechen büßen mussten.

Wie offen war die Stadt Bad Friedrichshall 1986 für ihre Vergangenheit?

Detlef Ernst: In den 80er Jahren sind manche hier mit jungen Forschern barsch umgegangen. Sie empfanden meine Nachforschungen über das ehemalige KZ als eine Art "Nestbeschmutzung" und wollten sich nicht damit befassen. 1944/45 waren die Häftlinge in der Bevölkerung durchaus präsent gewesen, weil sie täglich durch den Ort getrieben wurden. Diese "Normalität" glich den direkt vernetzten KZ Vaihingen/Enz und Schwäbisch Hall-Hessental, aber auch Bad Rappenau, Neckarelz und Neckargartach. Später haben viele diese Erinnerungen einfach verdrängt. Mich verblüffte, dass ein Großteil der zweieinhalbtausend Kochendorfer nichts von den 5000 bis 6000 Häftlingen und Zwangsarbeitern gewusst haben soll. Schon allein dieses Zahlenverhältnis ist mit dem Wort "Verdrängung" nicht mehr zu fassen.

Hat sich diese Verdrängung denn konkret bemerkbar gemacht?

Nach dem Krieg wurde auch der senkrechte Schacht, den die Häftlinge auf dem Lindenberg bei der heutigen Turnhalle als weiteren Zugang zum Bergwerk graben mussten, zunächst mit Brettern abgedeckt. Als diese morsch wurden, hat man eine Betonplatte darüber gemacht und einen Spielplatz darauf gesetzt. Dabei hat keiner gemerkt, wie symbolisch es war, die NS-Geschichte mit einem Spielplatz zu bedecken. Später wurde mir nicht gestattet, das Thema in die regionalen Medien zu bringen. Ich wollte damals im Radio ankündigen, dass ein paar ehemalige Häftlinge aus Frankreich mit der Bevölkerung diskutieren. Der Kompromiss war, dass ich die ehemaligen Häftlinge mit Schulklassen der Otto-Klenert-Realschule zusammenbringen durfte, ohne das Thema an die große Glocke zu hängen.

Werden die Geschehnisse in Kochendorf bis heute verdrängt?

In Bad Friedrichshall sind vor 1945 einige Schweinereien passiert, die teilweise in eine Decke des Schweigens gehüllt werden. Das ist eine historische Tatsache. Leider deckt jedes Fehlen des Muts zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema letztlich die Täter und Mitläufer. Trotzdem sehe ich eine Entwicklung in vier verschiedenen Phasen: Das allgemeine "Nie wieder" aus dem Jahr 1946 hatte sich Mitte der 50er Jahre auch in Bad Friedrichshall in Verdrängung umgedreht. Die Ermittlungen der Amerikaner in den 40er Jahren wurden aus der Stadtverwaltung so gut es ging sabotiert. Dabei war keine Entschuldigung zu peinlich, um die Dokumente nicht herauszugeben und die Strafermittlungen zu behindern. Ein Interesse für die Aufklärung der Taten drängte in den frühen 60er Jahren von ehemaligen Häftlingen, von der evangelischen Stelle für Rasseverfolgte und von Einzelpersonen. Die künstliche Grabesstille nahm in den 80er Jahren ab. In einer dritten Phase wurde die erste Broschüre über das KZ Kochendorf, die wir 1993 veröffentlichten, anfangs nicht gerne gesehen. Wir haben sie dann trotz des Widerstands in der Stadt durch regionale Zeitungen öffentlich bekannt gemacht. Später hat sich der damalige Bürgermeister für die Sache stark gemacht und uns mutig geholfen, die Miklos-Klein-Stiftung zu gründen. Dennoch blieb das Thema KZ in den 90er Jahren noch sensibel. Während manche empfindlich auf Anfragen reagierten, gab es zunehmend Menschen, die uns gerne etwas darüber erzählten. Genauso wie es damals Leute gab, die nicht alles von den Nazis unterstützt haben, gab es auch Leute die vorbeilaufende Häftlinge angespuckt hatten. Beide Verhaltensweisen findet man auch heute in der vierten Phase noch. Im Endeffekt kommt es darauf an, dass man aus der NS-Geschichte in Bad Friedrichshall lernt und in begrenztem Maß ein Recht auf Irrtum anerkennt anstatt nur stumpf zu verdrängen.

Galt dieses "Verdrängen wollen", auch bundesweit für den Umgang mit der Geschichte des Dritten Reichs?

Man muss das "Verdrängen" vor Ort im Gesamtzusammenhang der Nachkriegsereignisse sehen. Von 1947 bis 1954 gab es die "französischen" Gerichtsprozesse zu den Außenlagern des KZ Natzweiler/Elsaß in Baden-Württemberg. Kochendorf lag in der US-Besatzungszone. Da aber viele Franzosen im KZ Kochendorf inhaftiert waren, wollte die französische Besatzungsregierung auch den dortigen Tätern einen Strafprozess machen. In Deutschland und auch in Bad Friedrichshall hatte man von diesen Prozessen kaum etwas mitbekommen. Damals sind die Strafverteidiger der Nazi-Täter im Ort herumgelaufen und haben Persilscheine eingesammelt, um ihre Mandanten zu verteidigen. Das waren Blankett-Entschuldigungen für die übelsten Taten, in denen standardmäßige Floskeln gebraucht wurden, um Mord zu verniedlichen. Die wurden in Bad Friedrichshall auch von einigen bekannten Gewerbetreibenden unterschrieben. Das konnte man am Briefkopf der Schreiben erkennen. Einige Persilscheine von Landwirten waren zu gespreizt formuliert, um von ihnen selbst verfasst worden zu sein. Die hatten damals vermutlich nur willig unterschrieben, was man ihnen vorlegte. Mit diesen Scheinen haben die Deutschen die Täter anfangs gedeckt. Auch die Feindschaft gegenüber den Franzosen war 1947 noch nicht erledigt. Trotz aller Hürden sind einige der Angeklagten des KZ Kochendorf verurteilt worden, während andere aber auch milde verurteilt oder freigesprochen wurden.

Wie viele Angeklagte aus dem KZ Kochendorf gab es bei den Prozessen?

Es gab 13 Angeklagte bezüglich des KZ Kochendorf. Bezieht man das auf die 70 Wachleute des Lagers, sieht man, dass die Franzosen selbst nur einen Teil wussten. Die Verdächtigen, die sie überhaupt fassen konnten, waren nur ein zufälliges Sammelsurium. Den Franzosen waren nicht alle Täter bekannt und viele waren unter falschem Namen mitunter bis nach Argentinien abgetaucht. Ein ehemaliger Häftling hat den Ermittlern in Briefen geschildert, was er wusste und ging auf die Teilnahme der Kochendorfer Bevölkerung ein. Demnach waren zum Beispiel ein Arzt, ein Bahnhofsvorsteher, Bauern und ein Polizist involviert. Als drei Russen aus dem Lager flüchteten, wurde einer von ihnen von der Kochendorfer Polizei zurückgebracht und daraufhin im Lager gehängt. Es gab SS-Wachen mit 22 Jahren, die ihre damaligen Vorgesetzten gedeckt haben, aber selbst in Folge ihrer Jugend ein sehr mäßiges Urteil bekommen haben. Auch ein 23-jähriger SS-Soldat, der Häftlinge, die nicht schnell genug gelaufen sind, gepeitscht hatte, wurde zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt, aber bereits nach einem Monat wieder entlassen. Die Gerichtsverhandlungen sind rechtstaatlich gesehen sehr fair abgelaufen und waren juristisch auf hohem Niveau. Einige Angeklagte wurden frei gesprochen. Besonders junge Täter bekamen sehr milde Strafen. Bei den SS-Wachsoldaten Richard Maurer und Joseph Kaiser war die Beweislage allerdings so erdrückend, dass sie zum Tode verurteilt wurden. Obwohl der SS-Soldat Joseph Kaiser eigentlich auch zu den jüngeren Angeklagten des KZ Kochendorf gehörte.

Glauben Sie die SS-Soldaten im KZ waren alle Sadisten?

Es gab die Behauptung, dass die jungen Soldaten grausamer waren und die alten, die den ersten Weltkrieg miterlebt hatten, die ehrlichen Soldaten gewesen wären. Anhand der Täterbiografien stellte ich fest, dass das nicht stimmt. Ich konnte generationsunabhängig bei allen 13 Angeklagten des KZ Kochendorf einen roten Faden entdecken. Und zwar sind diese Leute für ihre Karriere ganz altersunabhängig über Leichen gegangen. Ein ehemaliger Soldat erzählte, dass sie den Befehl erhielten, die kaum mehr arbeitsfähigen Häftlinge zu drängen, schneller zu arbeiten. Die Organisation Todt ordnete an, wenn schreien und schlagen nichts mehr nütze, müsse man andere Mittel finden. Somit wurden die Kapos aufgefordert, durch Prügel mehr Arbeit aus den Leuten herauszuholen. Die Antwort ist oft vorauseilender und blinder Gehorsam, womit ich diese Leute keineswegs in Schutz nehme. Ich finde, man muss den Menschen mehr Zivilcourage anerziehen. Ich denke, man muss mehr lernen die Menschenwürde zu achten und jeden Mitmenschen als gleichwertig zu erkennen, sonst wird die "Karriere" immer wieder schief gehen. Auch heute passieren noch viele Rücksichtslosigkeiten.

Wie war das im Fall des ehemaligen Lagerkommandanten Büttner?

US-Ermittler in Heilbronn und Dachau haben von Ende Oktober 1946 bis April 1947 nach Büttner in Freiburg im Breisgau und in Haslach gesucht. Diese Ermittler wurden vor Ort aber nicht unterstützt. Im Zuge des kalten Krieges wurden die Ermittlungen dann einfach abgebrochen, was man in Archivdokumenten deutlich sieht. Anfang April 1947 haben die Franzosen dann weiter nach Büttner gesucht und gingen dazu nach Kahla in Thüringen in der sowjetischen Besatzungszone. Einen Monat später wurde er dort aufgespürt. Die Franzosen wollten bei der sowjetischen Militäradministration dessen Auslieferung beantragen. Büttner scheint das mitbekommen zu haben. Er hat sich in die US-Besatzungszone abgesetzt und wurde nicht gefasst. Wegen anderer Taten in Natzweiler erging 1954 ein Todesurteil gegen Büttner während seiner Abwesenheit. Das ist bei Militärgerichten der USA und Italiens im Strafprozess bis heute geläufig. Allerdings haben deutsche Juristen in den 60er Jahren alle Urteile, die in Abwesenheit gegen Angeklagte gefällt wurden, als unrechtmäßig erklärt und die Urteile gegen die eigenen Nazi-Täter nicht vollstreckt. 1962 kam es dann wegen Straftaten in Bad Friedrichshall zur Strafanzeige gegen Büttner und 1970 wurden die Ermittlungen ohne ein öffentliches deutsches Gerichtsverfahren eingestellt.

Warum wurde das von der juristischen Seite unterstützt?

Leider wurden viele NS-Juristen nach 1945 nicht ausgetauscht. So saßen noch alte Nazis im Bundesgerichtshof. Das war auch in der gesamten deutschen Verwaltung der Fall. Ein Ausführungsgesetz aus dem Jahr 1951 zu Artikel 131 Grundgesetz sicherte Beamten mit NS-Parteibuch die Rückkehr in ihr Berufsbeamtentum. Das hatte zur Folge, dass in einigen Polizeidienststellen 1955 mehr Nazis zu finden waren, als in der Zeit bis 1945. Auch der Staatssekretär von Bundeskanzler Konrad Adenauer, Hans Globke, war im "dritten Reich" der berüchtigte Kommentator der Nürnberger "Rassegesetze". Das signalisierte den Nazis, dass sie nichts zu befürchten hatten. Es gab aber einige streitbare Juristen, die nur unbelastete Richter und Staatsanwälte mit Fällen betraut haben. Die Auschwitzprozesse hatte zum Beispiel Fritz Bauer, ein Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main in Gang gebracht. Dadurch wurde die deutsche Öffentlichkeit mit den Taten in Auschwitz konfrontiert. Ohne ihn gäbe es heute nicht die entsprechenden Geschichtsbücher. Es gab auch bei den Juristen beide Seiten.

Wie stark wurden die Ermittlungen durch den Kalten Krieg beeinflusst? Haben die Nazis vom Ost-West-Konflikt profitiert?

Die Heilbronner US-Ermittler hatten bis 1947 beim KZ Kochendorf sehr gute Arbeit gemacht und ihre Ermittlungsergebnisse auch an die sowjetischen Behörden weitergereicht. Durch den kalten Krieg hatten die Sowjets aber kaum mehr eine Chance, etwas herauszubekommen. Es war alles sehr kompliziert geworden. Dass die Franzosen zu dieser Zeit noch in Thüringen recherchiert haben, war schon ein Akt des Mutes. Nazis, die sich wie Büttner in Deutschland versteckt hielten, hatten leichtes Spiel durch die Maschen zu kommen. Der kalte Krieg hat den Nazis Türen geöffnet, die sie nicht verdient hatten. Bei der Aufklärung in der Nachkriegszeit haben drei Ebenen eine Rolle gespielt: Der kalte Krieg, einige Juristen, die im Grund Nazis blieben und die Mitläufer vor Ort, die verhindert haben, dass die wirklichen deutschen Täter zur Verantwortung gezogen wurden.

Zur Person:

Detlef Ernst arbeitet als selbständiger Rechtsanwalt in Tübingen. Zusammen mit Klaus Riexinger schrieb er das Buch "Vernichtung durch Arbeit - Rüstung im Bergwerk" über die Geschichte des Konzentrationslagers Kochendorf. Im Jahr 2002 wurden sie dafür im Rahmen des Landespreises für Heimatforschung geehrt.

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